Es ist der Geruch, der einem sofort klarwerden lässt: Hier an der Avinguda dels Pins im Küstendorf S’Illot dreht sich heute alles nur um Paellas. Es ist Sonntag, 21. August, Bürger des Ortes an der Insel-Ostküste kippen Ingredienzien liebevoll in mindestens zehn Pfannen, die von Butangaskochern erhitzt werden. Ob kleingeschnittene Sepia-Tintenfische, Hühnerfleisch, rötliche Gambas, Oliven oder sonst was. Bei dem scherzhaft „Weltmeisterschaft” genannten Event im Rahmen der traditionellen, noch bis zum 28. August dauernden Dorffeierlichkeiten, geht es Nachbarschaftsvereinigungen darum, sich mit dem besten Erzeugnis dieses spanischen Nationalgerichts durchzusetzen.
Und nicht nur das. Mitglieder einer Jury begutachten auch, ob die Wettbewerbsteilnehmer zu genügend Feingefühl und ästhetischem Empfinden beim Dekorieren der Tische in der Lage waren. Und so wurden dort Muscheln drapiert, kleine Papp-Leuchttürme, rosa Servietten, Nachbildungen von Früchten und noch vieles mehr.
Marga wuselt um ihre Pfanne herum, noch ist sie nicht zufrieden. „Hier müssen noch Krebsbeine rein”, faucht sie ihren Kompagnon an, der neben ihr steht. Mit wissendem Augenaufschlag fügt Marga hinzu: „Erst dann kann man das essen.” Die Einwohnerin dieses sogar auf der Insel eher wenig bekannten, zwischen Porto Cristo und Cala Millor gelegenen Dorfs, schüttet aus einer Tüte einige dieser Beine in die Pfanne. Wer sich kulinarisch auskennt, weiß: Saugt man diese aus, breitet sich im Körper ein besonders intensiver Meeresgeschmack aus, der einen vor Sehnsucht fast automatisch aufs Wasser blicken lässt. Zwischen den Pfannen wuseln aufgeregt Kinder herum, graubärtige Rentner sitzen gelassen auf weißen Plastikstühlen, einige Teilnehmer haben sich sogar in mallorquinische Tracht geworfen, die sie aber mit einer gewissen Selbstironie präsentieren.
In Spanien ist man halt lustig, wenn man feiert, und das sogar im nüchternen Zustand. Und man ist es erst recht, wenn das Estrella-Galicia-Bier in Strömen fließt und laut Hits aus der schon Jahrzehnte zurückliegenden Madrider „Movida”-Zeit gespielt werden. Und so wird in der Avinguda dels Pins der „Verbena”-Kultur in vollen Zügen gefrönt, so wie man das nicht nur auf Mallorca, sondern im ganzen Land vorwiegend im Sommer eben macht. Arbeiten? Das ist etwas für andere Jahreszeiten. Ein Heiliger muss nicht unbedingt immer dafür herhalten, hier in S’Illot ist es einfach Spaß an der Freude. Und es ist das Wohlgefühl, nach der Pandemie wieder generationenübergreifend so richtig gesellig bis zum Exzess leben zu dürfen.
Man hat nicht die besten Zeiten hinter sich, in S’Illot. In den Pandemiejahren fanden kaum Touristen in die in größerer Zahl vorhandenen Hotels am blütenweißen Strand. Und davor, am 9. Oktober 2018, hatte der hier mündende Amer-Sturzbach während eines verheerenden Diluviums sogar Autos ins Meer gespült. Irgendwo da draußen dürften sich diese und andere von der bräunlichen Jahrhundertflut ins Wasser beförderten Gegenstände noch in der Tiefe befinden. Anders als das weiter nordwestlich gelegene Dorf Sant Llorenç des Cardassar wurde die Infrastruktur von S’Illot aber zum Glück nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen.
Vergangenheit! Heute wird gelacht in S’Illot, diesem im Norden zu Sant Llorenç und im Süden zu Manacor gehörenden 2200-Einwohner-Ort mit dem namensstiftenden Felsen vor der Küste. Und das sicher auch, weil viele zahlende Urlauber auch aus deutschen Landen im Meer baden und bekannte Restaurants wie – kein Witz – „Es Mollet - Onkel Willy” besuchen. Einige dieser Gäste – sie sprechen Deutsch oder Englisch, einige auch Französisch – lassen sich von der ausgelassenen Atmosphäre an der Avinguda dels Pîns anstecken und beobachten neugierig die Paella-Köche. Ja, Spanien ist halt auf so leichtfüßig-leckere Weise authentisch!