Durchgekühlt kommen die Wissenschaftler auf Mallorca an Land. Bei 15 Grad Wassertemperatur wird es auch im Neoprenanzug irgendwann frisch. In der Bucht von Formentor haben sie den ganzen Vormittag Posidonia oceanica, auf Deutsch Neptungras, gepflanzt. Das sechsköpfige Team ist für Medgardens im Einsatz, ein Projekt der Cleanwave-Stiftung. Als erste NGO hat sie die Genehmigung zur Renaturierung der wertvollen Seegraswiesen in den Balearengewässern.
„Die Posidonia ist so wichtig für das Mittelmeer, dass wir auf allen Ebenen arbeiten müssen, um sie zu schützen”, sagt die Ozeanografin Laura Royo, die heute die Aufforstungsaktion leitet. Dabei werden nicht einfach Setzlinge in den Meeresboden gesteckt, wie man sich das als Laie vielleicht vorstellt. Es ist eine akribische Arbeit mit langer Vorbereitung. Seit 2021 läuft das Projekt. Zwei Jahre lang wurden erst Untersuchungen zu den passenden Standorten und der besten Pflanztechnik durchgeführt.„Seit 10.000 Jahren betreiben die Menschen Landwirtschaft, aber seit 30 Jahren erst wird Posidonia aufgeforstet”, erklärt Laura Royo mit einem Lachen. „Wir wissen noch wenig darüber.” Nach zwei Jahren liege die Überlebensrate ihrer Pflanzungen immerhin bei 85 Prozent. Das sei sehr gut.
Außer in Formentor renaturiert Medgardens auch in Sant Elm und Porto Colom Seegraswiesen. Die Bedingungen seien ähnlich, meint die Ozeanografin und deutet auf die Bucht. „Im Sommer ankern hier viele Boote. Vor zehn Jahren wurde ein Bojenfeld angelegt, aber davor haben die Leute geankert, wo sie wollten, schön nah an der Küste und oft auf Posidonia.” Dabei seien Löcher in die Seegraswiesen gerissen worden. Ankern auf Posidonia ist jetzt verboten. Es sei also ein beschädigtes Gebiet, bei dem aber die schädigenden Faktoren beseitigt oder zumindest stark reduziert worden seien. „Hier können wir renaturieren.” An anderen Orten lohne sich die Mühe nicht. An der Playa de Palma etwa werde an mehreren Stellen Wasser von Kläranlagen ins Meer geleitet. Es sei sauberer als vor der Klärung, aber nicht wirklich sauber. An den Mündungen seien die Seegraswiesen sehr degradiert, aber da niemand die Ableitungen entferne, mache eine Renaturierung dort keinen Sinn.
„Zum Pflanzen nehmen wir nur Pflanzenteile, Rhizome, die sich auf natürliche Weise – etwa bei einem Sturm – von einer Wiese losgelöst haben”, erklärt die Teamleiterin. Es handelt sich also um den Spross der Pflanze, der im Untergrund verwurzelt ist und aus dem gleichzeitig die grünen Blätter herauswachsen. Posidonia vom Grund herauszureißen, selbst wenn es sich um abgestorbene Teile handle, sei verboten und unethisch. Die Teile mussten die Forscher sich erst in der Bucht suchen und auf ihre Pflanztauglichkeit überprüfen. Alle Funde werden gezählt, genau bestimmt und dokumentiert. „Schau hier”, meint Laura Royo, und nimmt ein gut 20 Zentimeter langes Rhizom in die Hand: „Die Blätter der Posidonia wachsen in Bündeln aus dem Rhizom. Dieses hier hat fünf Bündel. Wir zählen die Blätter und Bündel, um überprüfen zu können, wie sich die Plantage im Laufe der Zeit entwickelt.” Innerhalb von drei Stunden bepflanzt das Team heute drei Quadratmeter mit je sechzehn Rhizomen. Am nächsten Tag sollen weitere neun Quadratmeter folgen. Die aufgeforsteten Bereiche werden markiert und 20 bis 30 Jahre lang kontrolliert.
Das Ziel von Medgardens ist die Renaturierung von tausend Hektar Neptungraswiesen im Balearenmeer. „Das heißt nicht, dass wir tausend Hektar bepflanzen werden”, betont der Ozeanograf José Escaño. Dies sei das letzte Mittel, nachdem alle schädigenden Einflüsse soweit wie möglich eliminiert worden seien. „Die Neuanpflanzung ist so aufwändig und teuer, dass es besser ist, die vorhandene Posidonia zu erhalten.” Die Menschen über die Bedeutung der Posidonia zu sensibilisieren, sei das zweite Ziel des Projekts. Das Umweltvorhaben könne nur mit der Unterstützung der Bevölkerung effektiv sein, fügt Paula Bonet von Medgardens hinzu. Es nütze nichts, wenn sie Posidonia pflanzten und am nächsten Tag werfe jemand seinen Anker drauf und mache alles kaputt. In Porto Colom baut sie deshalb gerade ein Netzwerk auf, um gemeinsam mit den lokalen Akteuren und Anwohnern den Meeres- und Umweltschutz in der Bucht zu gestalten. Es gehe nicht nur um die Posidonia. „Wir müssen uns klar darüber werden, dass alles, was wir tun, eine Auswirkung auf die Umwelt hat, ob wir an den Strand gehen, was wir kaufen, oder welche Sonnencreme wir benutzen.”