Ungewöhnlich harsche Kritik hat sich die balearische Politik am Donnerstag vom mallorquinischen Hotelverband FEHM anhören müssen. Dessen Präsident Javier Vich wetterte auf einer Tagung in Madrid gegen die "nicht enden wollenden Bestandsaufnahmen zum Tourismus, ohne dass letztlich Taten folgen".
Vich machte "zwei Jahrzehnte politischer Untätigkeit" für die aktuellen Probleme in der Branche verantwortlich. "Seit 20 Jahren werden keine wegweisenden Entscheidungen getroffen", wetterte der Funktionär, "und die Rechnung zahlt der Tourismussektor". Bei dem Branchenkongress in der Hauptstadt drehte sich alles um die Zukunft des traditionellen Tourismusmodells von Sonne und Strand.
Und dann ging Vich ins Detail. Die Infrastruktur auf den Balearen sei im Grunde genommen noch "dieselbe wie vor 50 Jahren", während die Bevölkerung seit 2000 um 400.000 Menschen gestiegen sei – "ein Anstieg von 52 Prozent".
Besonders scharf kritisierte der FEHM-Chef den Umgang mit der Ökosteuer. 482 Millionen Euro (im Zeitraum 2017-2023, Anm. d. Red.) seien zwar eingenommen, aber nicht ausgegeben worden. "Wir haben von den Touristen eine Steuer erhoben und ihnen erklärt, dass sie dem Schutz ihres Reiseziels dient, aber das Geld bleibt in den Schubladen liegen", monierte Vich. Mallorca und die Nachbarinseln hätten kein Finanzierungs-, sondern um ein Verwaltungsproblem.
Ganz anders hingegen habe sich die Hotelbranche in den zurückliegenden Jahren aufgestellt. Dort, so Vich, seien 3,5 Milliarden Euro in die Modernisierung der Betriebe investiert worden. Der öffentliche Sektor müsse nun nachziehen und sich seiner Verantwortung bewusst sein. Als Hauptprobleme nannte Vich die Bereiche Wohnen und Mobilität, berichtete die MM-Schwesterzeitung "Ultima Hora".
Die Kritik kommt zu einem brisanten Zeitpunkt: Am kommenden Sonntag will die Bürgerbewegung Menys Turisme, Més Vida (Weniger Tourismus, mehr Leben) in Palma und auf Ibiza erneut gegen den Massentourismus mobil machen. 93 Organisationen haben sich nach Angaben der Veranstalter der Protestbewegung angeschlossen. Diese ist mittlerweile Teil eines europaweiten Netzwerks gegen Overtourism. "Das aktuelle Tourismusmodell ist nicht nachhaltig und benachteiligt weite Teile der Gesellschaft", so die Initiatoren.
Wasser auf die Mühlen der Tourismusgegner dürfte eine Studie sein, der die Fundació Miralles am Donnerstag veröffentlichte. Demnach verzechigfachte sich die Zahl der jährlichen Besucher in den vergangenen 65 Jahren von 320.000 auf 18,7 Millionen. Sollte dieser Wachstumsrhythmus beibehalten werden, würden im Jahr 2050 28,5 Millionen Urlauber auf den Inseln gezählt werden.
Besonders der Boom bei privaten Ferienwohnungen setze die Inseln unter Druck: Allein auf Mallorca gibt es der Studie zufolge mittlerweile über 100.000 Ferienwohnungsplätze. Dabei unterstrich die Stiftung auch die Abhängigkeit des Archipels vom Fremdenverkehr: Der trage 45 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Balearen bei. Zum Vergleich: spanienweit liegt der Anteil des Tourismus am BIP bei etwa 12 Prozent.