Nach dem Brexit-Votum schienen die sonst so coolen Briten in den Diskussionen um Gibraltar, Schottland oder Nordirland zuletzt etwas die Contenance zu verlieren, nun versucht Premierministerin Theresa May mit vorgezogenen Neuwahlen am 8. Juni einen Befreiungsschlag. MM hat sich auf der Insel umgehört, wie sich das Thema Brexit in der lokalen Community bisher auswirkt.
"Es gibt Sorgen um den künftigen Zugang zur spanischen Gesundheitsversorgung, und das Pfund hat bereits 16 Prozent an Wert verloren", sagt Calviàs ehemalige PP-Gemeinderätin Kate Mentink. Ihr Ehemann fürchte zudem, nach dem Brexit bestimmte Zulagen zur britischen Rente zu verlieren, so die gebürtige Schottin, die bei ihren Landsleuten auch verstärktes Einbürgerungsinteresse wahrnimmt. "Allen, die bisher noch nicht beim Rathaus gemeldet und im Ausländerregister eingetragen sind, empfehlen wir jedoch dringend, die erforderlichen Verwaltungsschritte so schnell wie möglich nachzuholen, um Rechte für die Zukunft zu sichern", empfiehlt Mentink, die über diverse Vereine nach wie vor in der Residentenberatung aktiv ist. Wer seit mindestens fünf Jahren registriert sei, werde wohl auch nach dem Brexit keine Schwierigkeiten haben, glaubt sie.
Bei einer Aufenthaltsdauer von zwei bis fünf Jahren hofft sie ebenfalls auf eine bürgerfreundliche Regelung. Lediglich wer seit weniger als einem Jahr in Spanien sei oder bei weniger als fünf Jahren Aufenthalt auf Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld angewiesen sei, könne möglicherweise Probleme bekommen, erläutert Mentink die derzeit im Europarecht vorgesehenen Fristen, die unabhängig von den Brexit-Verhandlungen wohl auch in Zukunft als Besitzstand geltend gemacht werden können. Immer vorausgesetzt, dass die Premierministerin und ihre Parteifreunde den bereits in Großbritannien lebenden EU-Bürgern nicht sämtliche Rechte entziehen wollen. Einschränkungen wird es laut Mentink hingegen für Neuankömmlinge geben - egal, ob es sich um Saisonarbeiter oder Geschäftsleute handelt.
Während der Immobilienmarkt auf dem Festland bereits unter der Situation leidet, halten sich die Folgen auf den Balearen bisher in Grenzen. "Die Zahl der Transaktionen hat fast wieder das gleiche Niveau wie vor dem Brexit erreicht", sagt Jason Moore von der MM-Schwesterzeitung "Majorca Daily Bulletin". "Die Liebe zu Spanien ist ungebrochen. Viele Briten haben den Traum vom Leben unter der Sonne", sagt der Chefredakteur. Er glaubt zwar nicht an eine deutsche Übernahme in der britisch dominierten Destination Magaluf, wohl aber an eine stärkere Durchmischung der Nationalitäten in Orten wie Pollença, das zu 90 Prozent von britischen Residentialtouristen dominiert werde. Magaluf habe hingegen nur einen Britenanteil von 55 Prozent und lebe bereits jetzt auch von Italienern oder Skandinaviern.
In die gleiche Kerbe schlägt auch Maklerin Heidi Stadler: "Die Insel steht nicht mehr nur auf einem Bein. Deutsche und englische Käufer waren immer die wichtigsten Mallorca-Liebhaber und Interessenten. Jetzt holen als Erste ganz deutlich die Schweden auf, gefolgt von Nischenmärkten wie Schweizern und Österreichern. Der heimatliche spanische Markt gewinnt ebenfalls wieder an Schwung und ist ernst zu nehmen. Auch russische Ex-Patriates beginnen langsam nachzurücken", heißt es aus dem Büro von First Mallorca. Das Niveau der britischen Anfragen sei anhaltend hoch, etwas gezögert werde allerdings bei der Kaufentscheidung.
Die Schuld an der anhaltenden Unsicherheit sieht Jason Moore vom "Majorca Daily Bulletin" vor allem bei der EU: "Europa sollte aufwachen, die Leute wollen keine Masseneinwanderung mehr", ereifert er sich. Wenn man die Briten zu sehr in die Enge dränge, seien sie jedenfalls zu allem fähig. "Die EU hat ein größeres Problem als Großbritannien. Wenn wir wollten, könnten wir morgen austreten, ohne dass das für uns große Folgen hätte", meint der Journalist. An die Notwendigkeit von Übergangsregeln für den Binnenmarkt, wie sie selbst nach Ansicht der britischen Opposition eigentlich der gesunde Menschenverstand gebietet, glaube er nicht.
Aus MM 17/2017