Es ist kurz nach Mitternacht, als die aus Mallorca stammende Lucía Muñoz in die Handykamera spricht. Die Wellen rollen, das Deck vibriert, im Hintergrund sind Stimmen zu hören. „Alarmstufe Rot“, ruft die Sprecherin von Podemos Palma in die Dunkelheit. Wenige Minuten zuvor hatte ein Aufprall die Stille zerrissen. Mehr als 15 Drohnen seien am vergangenen Dienstag (23.9.) über die Schiffe hinweggefegt, berichtet die 34-Jährige – tief, bedrohlich, „viel mehr als in den Nächten zuvor“. Vier Boote seien mit Sprengkörpern attackiert worden.
Muñoz ist nicht allein. An Bord der „Global Sumud Flotilla“, einer Armada von rund 50 Schiffen mit etwa 500 Freiwilligen, befinden sich auch die Mallorquinerinnen Alejandra Muñoz und Reyes Rigo. Sie alle eint ein Ziel: die Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu durchbrechen. Doch die Route ins östliche Mittelmeer ist längst zur Kampfzone geworden.
Psychologische Kriegsführung
Für Muñoz steht fest, wer hinter den Angriffen steckt: Israel. „Alles deutet darauf hin, dass es sich um Drohungen handelt, die Teil der psychologischen Kriegsführung sind“, sagt sie in ihrem Video. Ziel sei es, die Aktivisten einzuschüchtern und von ihrer Mission abzubringen. Israel selbst schweigt – keine Bestätigung, keine Erklärung, keine Entschuldigung.
Die Attacken vom 23. September sind kein Einzelfall. Schon in den Tagen zuvor kam es zu Zwischenfällen. Seit die Flotte Ende August aus Barcelona ausgelaufen ist, wurde sie mehrfach aufgehalten – erst durch schlechtes Wetter, dann durch technische Probleme. Auf den Balearen mussten sich die Schiffe neu gruppieren. Nun, kurz vor der Ankunft in Gaza, eskaliert die Lage.
Europa reagiert zögerlich
Die Hilfsflotte ist ein Symbol. Unter ihren Mitgliedern finden sich Prominente wie Klimaaktivistin Greta Thunberg, Hollywood-Schauspielerin Susan Sarandon oder Ada Colau, die frühere Bürgermeisterin von Barcelona. Sie alle wollen auf die „kriminelle Blockade“, wie Muñoz sie nennt, aufmerksam machen. Doch der Preis ist hoch: Drohnen, Explosionen, Todesangst.
Während Italien schnell reagierte und die Fregatte „Virginio Fasan“ entsandte, ließ Spanien sich Zeit. Erst nach den jüngsten Angriffen kündigte Ministerpräsident Pedro Sánchez an, ein Kriegsschiff aus Cartagena ins östliche Mittelmeer zu schicken. Offiziell heißt es, man wolle „eine mögliche Rettungsaktion durchführen“ und auf die Einhaltung des Völkerrechts pochen. Andere EU-Staaten haben bislang lediglich eine gemeinsame Erklärung abgegeben – eine Mahnung, sich jeglicher Gewalt gegen die Flotte zu enthalten. Worte, die auf hoher See kaum Gewicht haben.
Ein Signal der Ohnmacht
Für die Aktivisten an Bord wirkt das wie ein Spiel auf Zeit. Sie fordern Taten statt Appelle. Muñoz’ Video ist ein Hilfeschrei – an Spanien, an Europa, an die internationale Gemeinschaft. „Wir haben die Drohnenprotokolle aktiviert“, sagt sie. Doch gegen militärische Hightech aus der Luft helfen keine Protokolle.
Die Mission der „Global Sumud Flotilla“ ist gewaltfrei, zivil, humanitär. Ihre Gegner sind Panzer, Raketen, Drohnen. Der Kontrast könnte größer kaum sein. Die mallorquinische Politikerin stellt sich der Gefahr – und wird so unfreiwillig zum Gesicht eines Konflikts, den die meisten Regierungen lieber aussitzen.
Hoffnung trotz Dunkelheit
Noch kreuzen die Schiffe in der Nähe der griechischen Insel Kreta. Wie lange sie dort sicher sind, weiß niemand. Je näher sie Gaza kommen, desto heftiger werden die Angriffe. Doch Lucía Muñoz klingt trotz allem entschlossen: „Wir werden unser Ziel erreichen.“
Ob Europa ihr den Rücken stärkt oder sie im Stich lässt, bleibt ungewiss. Sicher ist nur: Die Nacht der Drohnen hat gezeigt, wie verwundbar die Hoffnung auf Frieden sein kann.