"Man bleibt doch irgendwie immer Fan. Die haben ja alle gedopt. Und machen das auch heute noch", meint Radlerin Christiane Kaufhold und freut sich über das frische Autogramm auf ihrem Trikot. Dort hat vor wenigen Augenblicken Jan Ullrich unterschrieben.
Ortstermin an der Playa de Muro. Hier richtete die Radsport-Zeitschrift "Roadbike" am Wochenende ihr Sigma-Roadbike-Festival aus, das zuvor schon zweimal an der Playa de Palma stattgefunden hatte. Mittendrin als einer von mehreren Radsport-Promis: Jan Ullrich.
Der 39-Jährige hat in den vergangenen Jahren nur im Zusammenhang mit Doping Schlagzeilen gemacht. 2012 wurde er vom internationalen Sportgerichtshof des Dopings für schuldig befunden. Doch der gebürtige Rostocker hat selbst nie zugegeben, verbotene leistungssteigernde Mittel genommen zu haben. Das einstige Sport-Idol ist ein vom Sockel gestürztes Denkmal, ein erloschener Stern. Möchte man meinen.
"Ich sehe mich heute vor allem als Radsport-Fan und schaue mir die Rennen im Fernsehen an", meint Jan Ullrich auf der Festival-Bühne. Er ist jetzt ein ganz normaler Hobby-Radler. Einer wie alle anderen. Fast jedenfalls.
Danach gibt es Autogramme, Ullrich schreibt wie gewünscht, lässt sich mit Radlern fotografieren, lächelt, scherzt. Er hat keinerlei Berührungsängste. Die Fans auch nicht. Ullrich war durch sein Verhalten sicherlich mit schuld am Niedergang des deutschen Profi-Radsports, doch danach fragt in der Szene kaum jemand. Zumindest nicht mehr.
"Jan Ullrich ist nach wie vor mein Idol, für mich ist er der Held im Radsport", meint Urlauber Thomas Pekar. Seine Frau Martina ergänzt: "Und er ist ein ganz Netter."
Der Ex-Profi scheint mit sich und der Welt im Reinen zu sein. War es auch für die Veranstalter des Festivals selbstverständlich, ihn einzuladen? "Jan Ullrich ist im Februar 2012 verurteilt worden und hat seine Strafe bekommen", meint Jens Vögele, Chefredakteur der Zeitschrift "Roadbike". "Wir haben deshalb keine Probleme damit, dass er auf unserem Festival auftritt, zumal er sich seit einiger Zeit in der Jedermann-Szene engagiert und dort immer noch große Sympathien genießt." Was an der Playa de Muro einmal mehr unter Beweis gestellt wurde.
Vögele betont, dass "Roadbike" Doping keinesfalls verharmlosen will. "Doping hat im Sport nichts zu suchen und deshalb diskutieren wir natürlich auch redaktionsintern, wie wir als Fachmagazin mit Dopingsündern umgehen. Aber wir gehen bei unseren Events nicht auf Distanz zu ehemaligen Profis."
Jan Ullrich erfreut sich immer noch, oder wieder der Gunst einiger Werbepartner. So hat er beispielsweise einen Deal mit dem Haarwaschmittelhersteller "Alpecin". Die Firma bewarb ihre Shampoos früher mit dem Slogan "Doping für die Haare". Die Zusammenarbeit, unter anderem betreibt Alpecin ein Jedermann-Team, entbehrt also nicht einer gewissen Pikanterie.
Vielleicht ist Jan Ullrich in der Radsport-Szene weiterhin geachtet und nicht geächtet, weil es eine Zeit gab, in der im Profi-Radsport offenbar ein flächendeckendes Dopingsystem existiert hat und der Sportler nur als letztes Glied in der Kette gesehen wird.
"Roadbike"-Chefredakteur Vögele: "Man macht einen Fehler, wenn man sich beim Thema Doping auf Einzelne einschießt. Einer der Standardsätze von Jan Ullrich war ja ,Ich habe niemanden betrogen'. Wenn alle das Gleiche gemacht haben, dann wurde im sportlichen Wettkampf wohl wirklich niemand betrogen. Wahrscheinlich bleiben auch deshalb bei den Radsportfans die großen Zweikämpfe mit Lance Armstrong in Erinnerung."
Es scheint also nichts gegen den nächsten Ullrich-Auftritt an der Playa de Muro zu sprechen. Dort soll das Sigma-Roadbike-Festival auch im kommenden Jahr wieder stattfinden.