Der Kontrast sticht erst so richtig ins Auge, wenn man in dem Herrensalon mit seiner handgeschnitzten Wandvertäfelung samt den opulenten Engeln am Kamin Platz nimmt und das in Dauerschleife laufende Video betrachtet: Auf dem flachen Großbildschirm ist einer dieser Altstadtpaläste von Palma zu sehen, wie er vorgefunden wurde, nachdem er jahrzehntelang unbewohnt verfiel - mit zerbrochenen Fenstern, abgeplatzten Decken, vergammelten Wandtapeten, verrosteten Fenstergittern, maroden Treppen, aufgewellten Fliesenböden und einem bis in den ersten Stock zugewucherten Innenhof. Dornröschenhaft. Ein altes Herrenhaus, das scheinbar jede Hoffnung aufgegeben hatte, wachgeküsst zu werden ...
Doch nun ist jenes Herrenzimmer, in dem das Video flimmert, just das Zentrum des Hauses, dessen einstiger Verfall dokumentiert wurde. Das Video und der Salon machen die Vergangenheit und die Gegenwart des Herrenhauses in eindrucksvoller Weise greif- und begreifbar. Der Weg zum einstigen Wohnzimmer der Adelsfamilie führt durch eine makellos herausgeputzte Eingangslobby samt schmucker Freitreppe, auch der Patio vor dem Fenster ist picobello, das gesamte Ambiente atmet elegante Gediegenheit, während rund 300 geladene Gäste unter vielen "Ahs" und "Ohs" sich staunend durch das Anwesen schieben.
Willkommen in Palmas jüngsten Fünf-Sterne-Boutique-Hotel Súmmum in der Altstadtgasse Concepció, das am Freitag vergangener Woche sein Eröffnungsfest feierte. Es ist das 22. Hotel dieser Art im Zentrum von Palma, ein Etablissement mit 18 Zimmern, in einem Herrenhaus aus dem 15. Jahrhundert, das 1874 im Stile der Zeit umgestaltet und renoviert worden war und seit 1964 leer stand.
Dann nahm sich Juan Vich des Hauses an. Der Patron einer palmesaner Hoteliersfamilie sah die Gelegenheit, in der heruntergekommenen Immobilie eines der edelsten Klein-Unterkünfte samt dem französischen Restaurant "Equus" unterzubringen, passenderweise im alten Pferdestall des Anwesens neben der Einfahrt für die Kutsche.
Der Trend, alte Herrenhäuser in Boutique-Hotels zu verwandeln, ist in Palma ungebrochen. Zwar hat es schon früher einige dieser Unterkünfte gegeben, doch in den vergangenen fünf Jahren hat sich ihre Anzahl vervielfacht - ganz abgesehen von den modernen Stadthotels, die parallel dazu ebenfalls ins Leben gerufen wurden. Die 22 Unterkünfte dieser Kategorie stellen insgesamt 646 Betten.
Doch was genau ist ein Boutique-Hotel? Mit "klein, aber fein", lässt sich das Konzept am ehesten umschreiben. Es handelt sich um Hotelbetriebe mit wenigen Zimmern im hochwertigen Vier- und Fünf-Sterne-Bereich. "Der Begriff ist zwar keine offizielle, aber immerhin eine kommerzielle Bezeichnung für dieses Beherbergungsmodell", sagt Javier Vich, Präsident des Hotelverbandes für Palma (ohne die Playa de Palma). Die Touristikbranche verstehe unter dem Boutique-Konzept in Mallorcas Hauptstadt insbesondere kleine Hotels mit im Schnitt 20 Zimmern. Die Übernachtungsbetriebe befinden sich in der Altstadt, in der Regel in historischen und denkmalgeschützten Patrizierhäusern. Für den Betrieb als Hotel müssen die meist veralteten, teil ruinösen Immobilien aufwendig renoviert werden, wobei charakteristische Architektur- und Kultur-Elemente zu bewahren sind. "Im Falle des Súmmum haben gleich zwei Behörden, die für Denkmalschutz und Kulturgutbewahrung zuständig sind, nämlich die Stadt Palma und der Inselrat von Mallorca, ein strenges Augenmerk auf den Umbau des Hotels gelegt", weiß Javier Vich.
"Wir hatten sehr viele Auflagen zu berücksichtigen", sagt auch der Architekt Jaime Martínez, der in der konservativen Legislaturperiode als balearischer Tourismusminister verantwortlich gezeichnet hatte. So konnten bauliche Elemente, wie sie charakteristisch für Altstadtpaläste sind, nur renoviert, aber nicht umgeändert werden. Auch der kleinere, zentrale Eingangspatio durfte nach oben hin nicht mit einen Glasdach abgeschlossen werden. Dessen ungeachtet sei in dem Hotel modernste Gebäudetechnik integriert worden, wie Fahrstühle, Klimaanlagen, Wärmedämmung, ein Spa, ein Whirlpool auf der Dachterrasse.
Verbandspräsident Javier Vich sieht vor allem die zurückliegende Wirtschaftskrise als Auslöser des Booms der Boutique-Hotels. Damals hatten die Immobilienpreise für die Altstadtpaläste so weit nachgegeben, dass sich für Hotelbetreiber die Investitionen mit einem Male rechneten. Nach Vichs Worten fallen pro Hotelzimmer inklusive Immobilienkauf und Renovierung 300.000 bis 325.000 Euro Investitionskosten an. Das macht im Schnitt rund sechs Millionen Euro pro Boutique-Hotel. Multipliziert man diese Summe mit der Anzahl der derzeit 22 existierenden Boutique-Hotels, so haben die Investoren in den vergangenen Jahren rund 132 Millionen Euro in die Altstadt fließen lassen. Ein Ergebnis, das sich nach seinen Worten sehen lassen kann: Denn statt leer stehender Immobilien rege sich aufgrund der Besucher neues Leben im "Casco Antiguo". Davon profitierten auch Handel und Gastronomie in der Nachbarschaft.
Die Nachfrage nach den exquisiten Schlafplätzen scheint nicht abzubrechen. Trotz der Zunahme der Betten sei die Belegung der Häuser nicht gesunken. Sie liegt im Schnitt von März bis Mai bei 70 Prozent, steigt von Juni bis September auf 80 Prozent, sinkt im Oktober auf 70 Prozent und rangiert in den kühlen Monaten bei 30 bis 35 Prozent.
Ein Ende der Fahnenstange sei derzeit nicht in Sicht, auch wenn Vich nicht mehr mit allzu vielen Hoteleröffnungen in Palmas Altstadt rechnet. "Je mehr die Immobilienpreise wieder anziehen, desto weniger erschwinglich wird es für Investoren, in alten Herrenhäusern Hotels zu etablieren. Der Markt reguliert sich von alleine."
Ungeachtet des einjährigen Moratoriums, das die Balearen-Regierung im Juni ausgerufen hatte, werden 2018 weitere Boutique-Hotels folgen. Sie hatten ihre Bau- und Betriebsgenehmigungen bereits im Vorfeld zugesagt bekommen. So sind im Altstadtbereich fünf weitere Häuser vorgesehen, wie das Cappuccino-Hotel am Rathausplatz mit 38 Zimmern, das an Ostern eröffnen möchte.
Hinzu kommen das Icon Rosetó Petit Palace in der Altstadtgasse Campaner, das Hotel Gloria (18 Zimmer) in der Gasse Sant Jaume, ein weiteres Hotel (ebenfalls mit 18 Zimmern) in der Nachbarschaft des Hotels Sant Francesc sowie das Hotel Baluard del Príncep im Winkel der östlichen Stadtmauer.
Bei dem zuletzt genannten Projekt handelt es sich um einen Neubau, der archäologische Überreste, die bei den Ausschachtungen zum Vorschein kamen, in seinem Restaurant "Gremium" unter einem Glasboden zu integrieren hat. Die Anzahl der Zimmer ist mit 68 relativ hoch, dennoch versteht sich das Baluard del Príncep als Boutique-Hotel, das sich aufgrund der aufgebrochenen Rhythmik seiner Außenfassade optisch durchaus gelungen in das benachbarte Altstadtensemble einfügt. "Wir sehen unser Haus als die moderne Interpretation eines traditionellen Altstadtpalastes", sagt die deutsche Direktoren Ilka Karl.
Noch sind dort die Handwerker unter Hochdruck am arbeiten. Im Januar soll das Fünf-Sterne-Haus möbliert werden, im Februar werden Freunde des Hauses die Unterkunft probewohnen, im März erfolgt ein Softopening.
Neben dem Quintett, das 2018 an den Start geht, haben drei weitere Häuser ihre Baulizenz noch vor dem Moratorium unter Dach und Fach bringen können. Auch diese Hotelprojekte könnten also in der Zukunft noch verwirklicht werden.
Wie es aber mit der Hotellerie in der Altstadt weitergeht, wenn das Moratorium im Sommer 2018 endet, ist unklar. Rein rechtlich werden dann jene sogenannten Zonenpläne für die touristische Nutzung maßgeblich sein, die derzeit vom Stadtrat und dem Inselrat ausgearbeitet werden. Details sind nach Javier Vichs Worten nicht bekannt. "Wir sind als Verband über die Inhalte bislang nicht unterrichtet worden."