Der Deutsche Reiseverband (DRV) wurde 1950 gegründet und ist heute die wichtigste Branchenvertretung für deutsche Reisebüros und Reiseveranstalter. Er zählt rund 2300 Mitgliedsunternehmen, die zusammen etwa 90 Prozent des Gesamtumsatzes der Tourismusbranche erwirtschaften. Sitz des Verbandes ist Berlin. Seit 2014 steht Norbert Fiebig an der Spitze des DRV. Vor der Übernahme dieser Funktion war der Diplom-Ökonom CEO der DER Touristik, der Touristiksparte des Handelskonzerns REWE Group. Im Oktober dieses Jahres tritt er nach über zwölf Jahren nicht mehr zur Wiederwahl an – und nimmt sich Zeit für ein Abschiedsinterview mit MM.
Mallorca Magazin:Herr Fiebig, auf Mallorca liest man an manchen Wänden: „Tourist, go home!“ – Wir ernst nehmen Sie das?
Norbert Fiebig:Die jüngsten Proteste sind vor allem auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum auf den Balearen zurückzuführen. Sie richten sich vornehmlich gegen den Verkauf von Immobilien an ausländische Investoren, der die Wohnungsknappheit verschärft und zu steigenden, zum Teil unbezahlbaren Mieten für die Wohnbevölkerung führt. Dies hat nur wenig mit reguliertem Tourismus in Hotels zu tun, vielmehr geht es um tiefergehende infrastrukturelle Probleme. Klar ist: Der Tourismus ist und bleibt Motor für wirtschaftliche Entwicklung, Beschäftigung, Wohlstand und kulturellen Austausch. Die Herausforderung ist die richtige Balance: zwischen wirtschaftlichem Nutzen und gesellschaftlicher Akzeptanz.
MM:Und wenn man Ihnen im Urlaub das Mietauto anzündet? Wie belastend sind solche antitouristischen Signale fürs Image?
Fiebig:Die überwiegende Mehrheit der Mallorquiner steht dem Tourismus positiv gegenüber und heißt Urlaubsgäste herzlich willkommen. Auf den Balearen sind erheblich mehr als 50 Prozent der Menschen direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig. Die vereinzelten, medial begleiteten Aktionen, die sich gegen den Tourismus auf der Insel wenden, sind zweifelslos nicht gut für das Image von Mallorca. Eine Gefährdung des klassischen Tourismus auf den Balearen sehen wir allerdings nicht – das Vertrauen in Mallorca als sicheres und beliebtes Reiseziel ist ungebrochen. Das zeigen auch die Buchungen. Und selbstverständlich sind auch wir als DRV mit Vertretern der balearischen Regierung im Austausch. Denn nur gemeinsam mit allen Beteiligten lassen sich sinnvolle Lösungen finden.
MM:Auf Mallorca klagt die Gastro nomie über zu wenig Gäste, die Gäste über zu hohe Preise – ist das die neue Tourismus-Symbiose?
Fiebig:Trotz der allgemeinen ökonomischen Herausforderungen steht der Wunsch nach Urlaub auf der Konsumwunschliste der Deutschen unverändert ganz oben. Sie möchten verreisen und sie verreisen auch. Aber – deutsche Urlauber sind sehr preissensibel. Wird ein Urlaubsziel als zu teuer empfunden, orientieren sie sich durchaus auch um – hin zu Destinationen, die preislich attraktiver sind. So sehen wir in diesem Jahr beispielsweise, dass die traditionell preisgünstigeren Urlaubsziele wie Tunesien, Bulgarien oder auch Ägypten gerade im Sommer stärker gebucht sind. Was wir auch sehen, ist, dass eher an den Ausgaben vor Ort – also an Ausflügen oder auch Restaurantbesuchen – gespart wird, wenn es im Portemonnaie enger wird.
MM:Mehr All-inclusive, weniger Tapas-Teller? Droht Mallorca der Rückfall in die Pauschal-Ära?
Fiebig:All-inclusive-Urlaube sind insbesondere bei Familien mit Kindern sehr beliebt, da diese Art des Urlaubs neben der allgemeinen Sicherheit der Pauschalreise auch eine große Budget-Sicherheit bietet. Traditionell ist Mallorca nicht so stark im All-inclusive-Bereich aufgestellt wie beispielsweise die Türkei oder auch Ägypten. Aber natürlich gibt es auch auf Mallorca entsprechende Angebote. Momentan sehen wir aber kein massives Wachstum an All-inclusive-Angeboten. Ob das Angebot an All-inclusive-Urlauben zukünftig erkennbar zunimmt, wird stark von der Entwicklung der Nachfrage der zunehmend preissensiblen Kunden abhängen. Wichtig ist aus Sicht der Reiseveranstalter, dass die Reisenden Wahlmöglichkeiten haben.
MM:Wie steht es allgemein um die Reiselust der Deutschen – trüb wie ein Hotelpool im August oder doch eher lebendig wie ein Handtuchkrieg am Morgen?
Fiebig:Die Urlaubsnachfrage bleibt auch in diesem Jahr hoch. Gefragt sind vor allem die östlichen Mittelmeerländer, Kreuzfahrten und Fernreisen. Die Top 3 der beliebtesten Flugpauschalreiseziele sind auch in diesem Sommer Spanien, die Türkei und Griechenland. Und wenn wir nach Spanien schauen, spielt Mallorca eine große Rolle. Gleichzeitig beobachten wir, dass das verfügbare Einkommen vieler Menschen sinkt – entsprechend steigt auch das Interesse an preisgünstigeren Urlauben. Die Reiselust der Deutschen ist da.
MM:Und Sie? Werden Sie demnächst mit dem Rollkoffer durch Asien ziehen? Oder endlich einfach mal nichts tun?
Fiebig:Das ist richtig. Nach über elf Jahren als Präsident des DRV habe ich für mich entschieden, dass ich nicht erneut für das Amt kandidieren möchte. Jetzt ist die Zeit für neue Gesichter an der Spitze – auch wenn ich viel Freude an meiner Arbeit im Verband hatte. Da die Zeit auch sehr arbeitsintensiv war, kamen private Reisen oft zu kurz. Das werde ich nun nachholen – es gibt noch ein paar Flecken auf dieser Erde, die ich bislang noch nicht gesehen habe. Ich werde der Branche aber sicher erhalten bleiben – in jedem Fall in der Rolle des Kunden.
MM:Was bleibt von elf Jahren Fiebig? Und was kann der DRV, was andere nicht können?
Fiebig:Der DRV ist einer der Spitzenverbände in der Reisebranche mit sehr guter Reputation in der Politik und bei Entscheidern. Wir vereinen neben Reisebüros und Reiseveranstaltern Unternehmen der gesamten Reisekette in unseren Reihen ebenso wie zahlreiche Destinationen. Unser internationales, tourismuspolitisches Netzwerk haben wir im letzten Jahrzehnt deutlich erweitern können. Auch maßgebliche Vertreter der Industrie im In- und Ausland schätzen die Partnerschaft mit unserem Verband. Ganz klar – der DRV wird gehört.