Süß und herb zugleich: Eine Mischung aus Marzipan, Karamell, Kaffee und Tabak, dieses Geschmacks-Erlebnis verspürt jeder, der herzhaft in eine reife Schote des Johannisbrotbaums beißt und das zäh-faserige Fruchtfleisch gut kaut. Aber Vorsicht: Die runden erbsengroßen Kerne in den bohnenförmigen Schoten sind so steinhart, dass sie einem durchaus die Zähne ausbrechen können. Und dennoch: Wer sich eine ganze Schote einverleibt, hat nicht nur ein gesundes und natürliches Nahrungsmittel zu sich genommen, sondern auch ein durchaus sättigendes. Besser als jeder andere Pausensnack, haltbar, leicht zu transportieren, ohne jedes Weichwerden oder Verschmutzen der Jackentasche oder des Tragebehälters. Mitunter ist das Natürlichste schlicht das Beste.
Johannisbrot: Die Bäume sind immergrün, die Schoten braun wie Schokolade, und die allermeisten Menschen wissen weder mit dem Baum noch mit seinen Früchten etwas anzufangen. Dabei gibt es nicht wenige Fincabesitzer, die die unverwüstlichen Bäume mit dem extrem harten Holz auf ihren Ländereien stehen haben. Unter den mallorquinischen Nutzbäumen ist der "Algarrobo" (mit "o") neben den Mandel- und den Olivenbäumen die Nummer drei, die hier traditionell angebaut wird.
Von Oktober an verströmen die Bäume, die je nach Sorte bis in den Januar hinein ihre unscheinbaren Blüten sprießen lassen, einen eigentümlich harzig-süßen Duft. Parallel dazu ist im Herbst auch die Erntezeit der Schoten, wenn diese sich von grün zu braun-schwarz verfärbt haben.
Die Bäume, die ursprünglich aus Äthiopien und Ägypten stammen, wurden bereits von den Phöniziern und alten Griechen im gesamten Mittelmeerraum verbreitet. Auch auf Mallorca haben die Früchte mit dem hohen Eiweiß- und Zuckergehalt die Menschen so manche Hungersnot überstehen lassen. Ihre vorletzte Renaissance erlebten die Bäume, die zu den Hülsenfrüchten zählen, in den kargen Jahren nach dem Spanischen Bürgerkrieg. Auch damals dienten die Schoten zumindest als Ersatzstoff für Kaffee und Schokolade. Möglicherweise ist das der Grund, warum die Früchte generell nicht allzu beliebt sind, da sie vor allem ältere Menschen an schlechte Zeiten erinnern. So steht die "Algarroba"-Schote (mit "a") in der Regel einzig auf dem Futterplan von Schweinen, Schafen, Pferden und Rindern. Ohne Not am Lebensmittelmarkt sind die Früchte für Otto-Normal-Verbraucher bislang kaum gefragt gewesen.
Erst im Zuge neuer Trends hin zu gesunder Ernährung, Mittelmeer-Diät, ökologisch erzeugten Bioprodukten, Glutenfreiheit, vegetarischen und veganen Gerichten sowie Slow-Food entdecken Unternehmer, Köche, Lebensmittelveredler und selbst Baumbesitzer das braune Gold der Algarrobos neu. Auf Mallorca sind sogar Unternehmen zu finden, die sich ausschließlich auf die Früchte spezialisiert haben. Da ist etwa die 1976 gegründete Firma Carob S.A im Industriegebiet von Marratxí. Sie knackt die harten Kerne und verarbeitet das Innere zu Johannisbrotkernmehl. Das weiße Pulver kommt als natürliches und geschmacksneutrales Verdickungsmittel. Es kommt in der Lebensmittelindustrie weltweit zum Einsatz etwa für Soßen, Süßspeisen, Kochschinken, Marmeladen oder Speiseeis und verfügt in dem Sektor über eine eigene normierte Kenn-Nummer: E-410. Die Inselfirma ist damit einer der größten und weitgehend einzige Produzent des Kernmehls.
Seit zwei Jahren hat sich mit der Firma "Es Garrover de Mallorca" in Llucmajor ein weiteres Unternehmen etabliert, das sich auf das Fruchtfleisch, die Pulpe der Algarrobas fokussiert. Hier wird das pflanzliche Produkt getrocknet und zerkleinert oder gleich zu Mehl und Pulver gemahlen, verrät Firmenchefin Joana Verger. In dieser Form kommt die Johannisbrotfrucht mit ihrem typischen rauchig-süßen Aromen voll zur Geltung. Das Mehl findet Verwendung etwa als Zusatzmittel zum Backen von Brot, Keksen und Kuchen. Das braune Pulver lässt sich zudem als Geschmacksvariante, ähnlich wie Kakao, in Milch, Joghurt, Smoothies, Cocktails oder Speiseeis einrühren oder mixen. Daneben produziert Es Garrover aus den Algarrobas sogar Brotaufstriche "ähnlich wie Nutella", Sirup und eigenes Eis.
Da die robusten Johannisbrotbäume auf Mallorca nahezu von alleine wachsen und kaum Pflanzenkrankheiten kennen, kommen Pestizide und Insektizide häufig nicht zum Einsatz. Es Garrober de Mallorca hat sich seinerseits ganz der nachhaltigen Ausrichtung verschrieben und setzt strikt auf ökologisch angebaute Algarrobas. Mit seinen Sirup-Produkten hat das Unternehmen 2017 die balearische Auszeichnung für Öko-Lebensmittel für sich errungen.
Neben den Unternehmern experimentieren mittlerweile auch Sterneköche wie etwa Macarena de Castro vom Restaurant Jardín in Port d'Alcúdia mit den dunklen Schoten. Die spanische Tageszeitung "Ultima Hora" berichtete jüngst über ein Gericht, in dem neben Schnecken und schwarzen Rüben als würzende Aromen auch Algarrobas zum Einsatz kommen.
Klaus Exner, Hobby-Koch und Food-Design-Fotograf im Inselosten, schwört seinerseits auf Zucker, den er mit triturierten Johannisbrotschoten um ein ganz eigenes Inselaroma bereichern konnte. "Diesen Johannisbrotzucker ordern Sterneköche aus Deutschland bei mir", sagt Exner.
In Palma finden die Früchte der Algarrobos ebenfalls mehr und mehr Fans. Es gibt Bäcker wie Toni Gelabert von der Konditorei Real, die bewusst ihre Waren mit den Zusätzen des Johannisbrotmehls zubereiten und anpreisen. Andere wie etwa die Brauer des Inselbieres "Garrova" fügen Hopfen und Malz weitere natürliche Aromen des Johannisbrotbaums hinzu. Die Firma "Tragus" wiederum hat einen Likör aus Algarrobas kreiert.
All diese Entwicklungen sind positiv für die Landwirtschaft und die kleine, aber aufstrebende Lebensmittelindustrie der Insel. Die Bauern können aufgrund der Nachfrage etwas höhere Erntepreise für ihre Schoten erhalten, und die Veredelungsbranche generiert ihrerseits Produkte, wie sie anderswo kaum zu finden sind. Die jüngste Renaissance der Johannisbrotbäume verschafft Mallorca damit ein kulinarisches Alleinstellungsmerkmal. "Es geht aber um viel mehr als das", betont Unternehmerin Joana Verger. "Es geht letztlich um die umweltfreundliche Bewahrung unserer Landwirtschaft und unserer Insel." Sie weiß, wovon sie spricht: Schon ihr Großvater hatte eine Firma, die mit den schokobraunen Schoten Handel trieb.
(aus 43/2017)