Am 12. Juni war auf der Titelseite der spanischen Tageszeitung Ultima Hora auf Mallorca zu lesen: "Die Wiederaufnahme von Schülerreisen bringt rund 4000 junge Menschen auf die Insel". Damals wurde diese Nachricht als Rückkehr zur Normalität gefeiert. Die Info wurde positiv aufgenommen, die Tourismuswirtschaft freute sich auf den Neubeginn ihrer Tätigkeit. Die Abschlussfahrten sollten unter Aufsicht von 60 Tutoren und flankiert von Sicherheitsmaßnahmen stattfinden. Was sollte da schon schiefgehen? (Zum Hintergrund: Ende Juni wurden spanienweit mehr als 1800 infizierte Jugendliche gezählt, die sich zuvor auf Gruppenreisen auf Mallorca aufgehalten hatten.)
Die Schüler und ihre Familien
Der Hauptverantwortliche für eine Infektion ist meist der Infiziert selbst, schreibt die Tageszeitung. Denn es ist leicht, sich anzustecken, wenn die Sicherheitsmaßnahmen wie Maskenpflicht und Mindestabstände nicht eingehalten werden. Haben die Schüler die Verwendung von Masken, die soziale Distanz und das Verbleiben in kleinen Gruppen ("Blasen") eingehalten? Das Blatt konstatiert: Am Ende des kompliziertesten Schuljahres in der Geschichte hat sich gezeigt, dass die Schulen sehr wohl als Schutzwälle gegen die Übertragung des Corona-Virus funktioniert haben, weil dort die Regeln gut befolgt wurden. Die Schüler mussten in der Klasse Masken tragen, es gab Wechselunterricht, Schulausflüge und Exkursionen waren nicht erlaubt. "Warum also erlaubten die Eltern, dass ihre Kinder nach all dem Aufwand nun alle gemeinsam auf ein und dieselbe Reise gehen konten?", fragt Ultima Hora. (Zum Hintergrund: In Spanien ist es üblich, dass Abiturienten und Schulabsolventen nach dem Abschluss der Prüfungen gemeinsam verreisen und diese Fahrten in Eigenregie und über spezialisierte Reiseanbieter organisieren.)
Die Reiseveranstalter
Die Reisen wurden von eigens darauf spezialisierten Agenturen organisiert. Und man brauchte nicht einmal nach Mallorca zu kommen, um sich anzustecken, denn viele Partys begannen schon auf der Fähre, ohne dass dort die Trennung der Gruppen eingehalten wurde, schreibt Ultima Hora. Wenn es Reisende gab, die vorsichtig sein wollten und sich von den alkoholisierten Menschenmassen abgrenzten, half das auch nicht weiter. Denn nach ihrer Ankunft auf der Insel mischten die Programmanbieter die Gruppen bei den organisierten Ausflügen zu Wasserparks, kulturellen Besuchen oder Konzerten. Die Reise- und Programmveranstalter holten letztlich sämtliche Ausflüge und Aktivitäten nach, die während des gesamten Schuljahres ausgefallen waren.
Das Konzert
Man war unfähig, das Unvermeidliche zu vermeiden, schreibt Ultima Hora. Nur drei Tage nach jener Titelseite, die von der Ankunft der 4000 Abschlussschüler in drei Tagen berichtete, gab es den perfekten Nährboden für eine Makroinfektion: ein Reggeaton-Konzert in der Stierkampfarena. Hatte eine solche Veranstaltung eine Genehmigung? Ja, aber mit Sicherheitsvorschriften: Masken, Abstand, 200 Personen im Arena-Rund und 1000 auf den Tribünen, alle sitzend. Wie das Konzert endete, ist bekannt. (Aufnahmen zeigen, wie die Sitzvorgabe nicht eingehalten wurde, viele tanzten in Massen vor der Bühne, die Polizei löste schließlich das Konzert auf). Das Corona-Virus konnte sich seitdem bei jedem organisierten Ausflug von Jugendlichen weiter verbreiten, vor allem bei Ausflügen auf Partybooten oder bei illegalen Partys in Hotels, wo schließlich die Balearen-Regierung die Ansteckungen registrierte und Sanktionen in die Wege leitete. Das Konzert in der Stierkampfarena wird von Experten als die Ursache für die Ausbreitung der Infektion angesehen.
Die anderen spanischen Regionen
Es gab keinerlei Gesundheitskontrolle bei der Rückkehr der Reisenden in ihre Heimatregionen auf dem spanischen Festland. Eine Woche später (es ist bekannt, dass das Virus Zeit braucht, um Symptome zu zeigen) stellten bis zu acht autonome Gemeinschaften (mittlerweile sind es zwölf) Infektionen unter jungen Menschen fest, die alle etwas gemeinsam hatten: die Reise nach Mallorca. Als die Medien das Thema aufgriffen, vervielfachten sich die bekannt gewordenen Fälle innerhalb weniger Stunden. Und auf Mallorca stellten die Behörden fest, dass sich noch immer junge Menschen auf der Insel aufhielten, die im Rahmen solcher Schulabschlussfahrten dorthin gereist waren.
Quarantäne-Isolation
Wenn etwas in der vergangenen Woche versagt hat, dann war es die mangelnde Voraussicht und Vorsorge, schreibt das Blatt. Als festgestellt wurde, dass es auf der Insel enge Kontakte oder sogar Ansteckungen innerhalb dieser Reisegruppen geben könnte, begann die balearische Gesundheitsbehörde IB-Salut, diesen nachzuspüren. Angesichts der Unmöglichkeit zu wissen, welche Gruppe wann mit welcher anderen wo in Kontakt gekommen war, beantragte die Behörden am Samstag von einer Woche, alle in Frage kommenden Abschlussschüler, die sich in einer Reihe von Hotels an der Playa de Palma und i Arenal de Llucmajor aufhielten, zu isolieren. Doch nicht wenige Jugendliche weigerten sich, in Quarantäne genommen zu werden. Die IB-Salut-Generaldirektorin forderte daraufhin Sicherheitskräfte an, um die Schüler in ein Quarantäne-Hotel zu schaffen. Allerdings gab es dazu nur einen mündlichen Befehl. Die Polizeikräfte beharrten jedoch auf einen schriftlichen und begründeten Beschluss, da das zwangsweise Isolieren der Betroffenen gegen die Grundrechte verstößt, auch wenn als Motiv die öffentlichen Gesundheit angeführt wird. Der schriftliche Auftrag von IB-Salut wurde erst um 00.30 Uhr in den frühen Morgenstunden erteilt, und anstatt die Quarantäne-Maßnahme zu erleichtern, führte er zu noch mehr Unruhe und Fragen.
Die Balearen-Regierung
Ein "mea culpa" war von Balearen-Regierung bislang nicht zu hören, schreibt Ultima Hora weiter. Nach Angaben der Regionalregierung tragen die Verantwortung für den Mega-Ausbruch der Infektion letztlich das individuelle Verhalten der Betroffenen und die Nichtbeachtung der Corona-Regeln sowie die Reiseveranstalter, das Konzert oder auch die Justiz, die am Ende die Quarantäne für die negativ getesteten Reisenden im Corona-Hotel wieder aufhob und 118 von ihnen auf das Festland zurückreisen ließ. Ultima Hora schreibt dazu: "Jemand sollte den Bürgern der Balearen, die sich mehr als 15 Monaten eingeschränkt und den Corona-Restirktionen unterworfen haben, um die öffentliche Gesundheit zu schützen, erklären, wie in weniger als zwei Wochen fast alles den Bach hinuntergegangen ist und die Gefahr einer neuen Welle hervorgerufen hat. Oder man sollte zumindest erklären, dass die Exekutive zumindest einen Mangel an Weitsicht hatte. Oder dass sie potenziell gefährliche Konzerte geduldet hat."
Die spanische Zentralregierung
"Warum hat niemand vor dem Risiko von Gruppenreisen gewarnt?", insistiert Ultima Hora, und fährt fort: "Alles in allem, wenn man darüber nachdenkt, können Klassenfahrten in großen Gruppen eine tickende Zeitbombe sein." Die Jugendlichen waren lediglich gebeten worden, einen Antigentest zu machen und in geschlossenen Räumen Masken zu tragen. Obwohl keine Kontrolle unfehlbar ist, hat die Balearen-Regierung nun erkannt, dass dies nicht ausreichend war. 15 Tage später erließ sie eine Verordnung, dass Reisegruppen von 20 Personen und mehr, die auf die Inseln reisen, eine vollständige Impfung oder einen negativen PCR-Test, die effektivste diagnostische Probe, vorzeigen müssen. Dies zumindest wurde nun getan. Der Beitrag der spanischen Zentralregierung besteht lediglich darin, zu empfehlen, nicht in Gruppen zu verreisen.