Eine Reportage basierend auf der Berichterstattung der spanischen MM-Schwesterzeitung Ultima Hora, veröffentlicht im Vorfeld der großen Anti-Massifizierungs-Demonstration auf Mallorca am Sonntag.
Von außen wirkt Palma de Mallorca wie ein mediterranes Idyll. Doch hinter den Kulissen brodelt es – leise, aber spürbar. Auf Wänden kleben handgeschriebene Zettel, in denen verzweifelte Einwohner Wohnraum suchen – nicht auf Immobilienportalen, sondern direkt auf der Straße. "Ich bin Mallorquiner. Meine Frau und ich suchen ein Haus zum Kaufen. Wir können keine Guiri-Preise zahlen", steht auf einem Plakat an der Avinguda de l'Argentina. Guiri – so bezeichnen viele Spanier wenig schmeichelhaft ausländische Touristen.
Was zunächst wie ein Kunstprojekt oder Guerilla-Marketing wirkt, ist bittere Realität. Die spanische Ultima Hora hat diese und viele weitere Stimmen dokumentiert – Ausdruck einer sozialen Schieflage, die für viele mallorquinische Haushalte zur existenziellen Bedrohung geworden ist. Die Plakate sind keine isolierten Einzelfälle, sondern Symptome einer Verdrängung, die sich quer durch Palma und die Insel zieht – und den Boden für die große Anti-Massifizierungs-Demonstration an diesem Sonntag bereitet, die wieder Tausende mobilisieren soll.
"So ist es hier. Leben ist das nicht mehr"
Carlos Pascual, ein Ladenangestellter im trendigen Viertel Santa Catalina, ist einer dieser Stimmen. "Wir suchen einen vernünftigen Preis, mallorquinisch – nicht deutsch", sagt er im Gespräch. Die Preisentwicklung nennt er absurd: "Früher gab es kleine Wohnungen für 130.000 Euro. Heute kosten sie mindestens 350.000 – in nur fünf Jahren." Seine Partnerin, eine Lehrerin, wurde nach Ibiza versetzt. Er selbst aber will bleiben. "Ich bin mallorquinischer als die Sobrasada", sagt er, halb ironisch, halb trotzig.
Der Wandel in seinem Viertel ist für ihn sinnbildlich: "Hast du Santa Catalina gesehen? Wir sind fast die Letzten. Der Café con leche kostet 2,80 Euro – das hier ist ein Freizeitpark für Reiche." Während er spricht, betritt eine Familie von Kreuzfahrttouristen den Laden. Sie schauen sich um, kaufen nichts, gehen wieder. Carlos zuckt mit den Schultern. "So ist es hier. Leben ist das nicht mehr."
Ultima Hora berichtet von zahlreichen ähnlichen Fällen. Ein Paar in Palmas Eixample genannter Neustadt bittet anonym um Hilfe – es sucht bis Oktober eine Mietwohnung und möchte nicht in der Zeitung erscheinen. Ein 43-jähriger Mallorquiner hängt in einem anderen Viertel ein Schild auf: Er kann sich weder Kauf noch Miete leisten und zahlt 500 Euro für ein Zimmer. "Die Leute sind sehr rassistisch", sagt er – auch das sei Teil der sozialen Realität.
Hilferufe in den Sozialen Netzwerken sind Alltag geworden
Sogar in Online-Netzwerken wie Facebook sind Hilferufe alltäglich geworden. Ein hispano-deutsches Paar beschreibt in einem öffentlichen Beitrag, wie ihnen nach acht Jahren die Wohnung gekündigt wurde – offiziell für Eigenbedarf. "In wenigen Wochen verlieren wir alles", schreibt Andreas F., und nennt den Mietmarkt auf Mallorca "eine illegale Farce", geprägt von Mietverträgen mit elf Monaten Laufzeit, um gesetzliche Regelungen zu umgehen, von möbellosen Wohnungen mit Schimmel, von Vorauszahlungen für ein Jahr – ein "vintage Höllentrip", wie er es nennt. Ein anderer Deutscher, selbst Immobilienmakler, bestätigt: "Der Markt ist nicht mehr tragbar."
Einige Immobilienagenturen, berichtet Ultima Hora, nutzten die Situation ihrerseits offensiv. Schilder in Palma rufen Eigentümer dazu auf, ihre Wohnung zu verkaufen – reale Käufer stünden bereit. In sozialen Netzwerken werben Firmen mit Slogans wie "Wir verkaufen deine Wohnung in zehn Tagen". Das Problem: Es gibt kaum noch Angebot, weder zum Kauf noch zur Miete. Die wenigen verfügbaren Wohnungen sind für viele Einheimische unerschwinglich.
Eine Immobilienmaklerin, die nach Galicien zieht
Natalia Bueno, eine erfahrene Immobilienmaklerin, steht kurz vor dem Wegzug nach Galicien – auch sie zieht Konsequenzen. "Viele kommen mit dem Wunsch nach einer bezahlbaren Miete. Aber sie können höchstens 40 Prozent ihres Einkommens aufbringen." Ein Paar mit 3000 Euro Nettoeinkommen könne nicht mehr als 1200 Euro zahlen – eine Summe, für die es kaum noch Angebote gebe. Ihre nüchterne Bilanz: "Es gibt nur drei Optionen: ein Zimmer mieten, sich auf die Warteliste für Sozialwohnungen setzen oder die Insel verlassen."
Und so verdichtet sich ein Gefühl der Perspektivlosigkeit. Carlos bringt es auf den Punkt: "Das hier riecht nach der Blase von 2008." Die Verzweiflung, die Angst, die Wut – all das hängt an Zäunen, Laternenpfählen und Hauswänden. Und an diesem Sonntag, wenn auf der Plaza España Tausende zur Demonstration gegen Massentourismus und Wohnungsnot zusammenkommen, werden diese Stimmen laut werden.