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Hunderte Jahre alt: Dieser Unterwasser-Schatz schlummert an der Playa de Palma

Im Sommer 2019 tauchte nur wenige Meter von der Feiermeile entfernt das Wrack eines römischen Handelsschiffes auf – eine archäologische Sensation, wie mittlerweile immer klarer wird

Die handschriftlichen Notizen auf den Amphoren des Schiffswracks liefern Historikern wertvolle Informationen | Foto: Consell de Mallorca

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Meterhoch und weiß schäumend rollen die Wellen in Richtung Strand. Der Wind biegt die Palmen und verteilt Sand über die Uferpromenade. Jedes Boot würde bei dem Versuch, den nahegelegenen Hafen von Can Pastilla zu verlassen, Gefahr laufen zu kentern. Nur Surfer trauen sich an diesem Herbsttag des Jahres 2025 aufs Wasser hinaus. Eine Gruppe Menschen steht am Rand des Strandes und debattiert gestikulierend. Der Ortstermin an der Playa de Palma ist der letzte Programmpunkt einer vom Inselrat organisierten Tagung zum Thema Unterwasser-Archäologie, die in der vergangenen Woche auf der Insel stattfand. Vor allem ging es dabei um das sogenannte Ses-Fontanelles-Wrack, das genau hier im Sommer 2019 gefunden wurde.

Genauso stürmisch wie an diesem Tag wird das Wetter wohl auch vor 1700 Jahren gewesen sein, als ein schwer mit hunderten Amphoren beladenes Segelschiff vor der Küste Mallorcas in Seenot geriet und auf den Meeresboden sank. Seitdem liegt das Wrack an Ort und Stelle. Bis vor wenigen Jahren ahnte kein Mensch, dass sich nur wenige Dutzend Meter von Mallorcas wichtigster Touristenmeile entfernt und gerade einmal zwei Meter unter der Wasseroberfläche die Überreste eines römischen Handelsschiffes befanden. Und das, obwohl an der Playa de Palma jährlich hunderttausende Urlauber ihre Ferien verbringen. Generationen deutscher Touristen sind an dem Wrack vorbei geschnorchelt, ohne auch nur das Geringste zu bemerken.

Münzen, Amphoren und vieles mehr liegen auf dem Meeresgrund. Fotos: Consell de Mallorca

Dann brach eines Tages Félix Alarcón zu seiner täglichen Schwimmrunde auf. Der heute 66-Jährige lebt seit vielen Jahren gleich in Strandnähe und konnte seinen Augen kaum trauen, als er am Meeresgrund die Überreste eines offensichtlich sehr alten Bootes entdeckte, das vermutlich bei einem Frühjahrssturm von den Wellen freigelegt worden war. Er alarmierte die Denkmalschutzbehörde. Die rückte dann auch rasch an und bald war klar, dass Alarcón nicht nur einfach irgendein Schiffswrack gefunden hatte, wie sie vor Mallorcas Küste in großer Zahl am Meeresboden liegen, sondern dass es sich vielmehr um eine archäologische Sensation handelte.

Um zu verhindern, dass Schaulustige sich der Fundstätte näherten, hielten Polizisten und ein Sicherheitsdienst dort rund um die Uhr Wache. Die Denkmalschutzbehörde bat derweil Spaniens führende Unterwasser-Archäologen um Rat und Unterstützung. Mehrere Dutzend Personen aus verschiedenen Fachbereichen waren in der Folge an den Bergungsarbeiten der Schiffsladung beteiligt. Mit riesengroßen Saugern befreiten die Forscher nach und nach das zwölf Meter lange und sechs Meter breite Wrack von Sand und legten die Ladung frei.

„Der Fund ist aus mehreren Gründen so besonders”, sagt Enrique García, Professor für Alte Geschichte an der Balearen-Universität in Palma. „Bemerkenswert ist vor allem der gute Zustand.” So förderten die Forscher Dutzende intakte und noch verschlossene Amphoren zutage, in denen Olivenöl, Wein und Garum, eine im alten Rom beliebte Sauce aus fermentierten Sardellen, transportiert wurden. Auch zwei Schuhe entdeckten die Forscher, sowie einen Bohrer, der vermutlich für etwaige Reparaturen diene sollte. Nicht zuletzt hat auch das Holz, aus dem das Schiff gefertigt ist, die Zeit unter Wasser so gut überstanden, dass die Wissenschaftler es kaum glauben konnten. „Die Ursache ist vermutlich, dass das Wrack nach dem Versinken rasch von Sand bedeckt wurde”, vermutet Professor García.

Ein weiterer Grund, weshalb der Fund vor Mallorcas Küste international für Aufsehen gesorgt hat, ist die Tatsache, dass aus der späten Römerzeit nur sehr wenige Schiffswracks erhalten sind. Dabei gelang die sehr genaue Datierung vor allem dank einer Münze, die der Schiffsbauer wie damals üblich unter dem Mast verborgen hatte. Die Münze war auf das Jahr 320 nach Christus datiert und stammte aus der römischen Stadt Siscia im heutigen Kroatien. Das Schiff wird also kurz danach in Betrieb genommen worden sein, vermuten die Forscher. Da der Rumpf nur wenige Reparaturen aufweist, vergingen vermutlich nicht allzu viele Jahre, bis zu jener Unglücksfahrt. Diese ereignete sich demnach um die Mitte des 4. Jahrhunderts – weniger als ein Jahrhundert, bevor die Vandalen die Iberische Halbinsel und auch die Balearen eroberten.

Von Sand bedeckt lag das Wrack samt Ladung 1700 Jahre lang am Meeresgrund.

Eine Besonderheit jener Epoche sei der Übergang zum Christentum, erklärt García. Tatsächlich sind eine Reihe der an Bord entdeckten Amphoren mit Christusmonogramm versehen. Auf Mallorca selbst stammen die ersten Hinweise auf die Christianisierung der Bewohner erst aus dem 
5. Jahrhundert, so etwa die 
Ruine der frühchristlichen Basilika Son Peretó bei Manacor. Dass es sich um eine Zeit der Co-Existenz von Heiden- und Christentum handelte, belegt eine Öllampe, die die Forscher ebenfalls an Bord fanden. Darauf ist die Göttin Diana abgebildet, der römischen Mythologie zufolge die Göttin der Jagd, des Mondes und der Geburt.

Die wohl bedeutendsten Erkenntnisse aber verdanken die Forscher den zahlreichen Aufschriften auf den Amphoren, den sogenannten Tituli Picti. Es handelt sich um die größte Sammlung dieser Art im ganzen Land und um eine der größten überhaupt, erklärt Darío Bernal, Archäologie-Professor an der Universität von Cádiz. Die von Schrift-
experten mittlerweile entzifferten Texte ermöglichen eine ganze Reihe von Rückschlüssen. Es handelt sich nämlich um Angaben zum Inhalt der Amphoren, zu den Herstellern der Produkte sowie zum damaligen Steuerwesen. Die Untersuchung der Schriften ergab auch, dass sieben verschiedene Personen als Schreiber damit befasst waren, die Amphoren zu kennzeichnen, was einen Hinweis darauf liefert, in welcher Größenordnung damals Seehandel getrieben wurde.

Dank der Analyse des Materials, aus dem die Amphoren gefertigt sind, weiß man derweil mit Gewissheit, dass das Schiff aus dem heutigen Cartagena an der Küste Murcias kam. Für Historiker eine wichtige Information, ist doch nun gesichert, dass in jener Gegend damals Olivenöl und Garum für den Export produziert wurden. Da die Amphoren an Bord des Schiffes fünf verschiedene Formen aufweisen, die bislang nicht bekannt waren, könnten zukünftige Funde ähnlicher Behältnisse Rückschlüsse auf die damaligen Handelsrouten im westlichen Mittelmeer ermöglichen.

Neun wissenschaftliche Artikel seien mittlerweile dank des Fundes veröffentlicht worden, erklärt Bernal, außerdem sechs Kapitel in Monografien. Auf sieben Kongressen hätten er und seine Kollegen bereits von ihren Erkenntnissen berichtet. „Wir werden noch in zehn Jahren daran forschen”, sagt er. Offene Fragen gibt es schließlich noch immer reichlich. Wer trug beispielsweise die Schuhe, die an Bord waren? Schließlich reisten Matrosen damals barfuß.

Es ist auch völlig unklar, ob die Schiffsbesatzung die Insel nur als Zwischenstation angelaufen, oder aber hier schon ihr Ziel erreicht hatte. Wäre letzteres der Fall, würde das bedeuten, dass es auf der Insel damals eine kaufkräftige Oberschicht gegeben haben muss, die sich solcherlei Luxusgüter leisten konnte, wie sie das Schiff an Bord hatte. Erkenntnisse über Mallorcas Geschichte aber liefert das Wrack bislang nur begrenzt, erklärt Miguel Angel Cau, Archäologie-Professor an der Universität von Barcelona.

Klar ist lediglich, dass Mallorca zur Zeit des römischen Imperiums ein bedeutender Zwischenstopp im westlichen Mittelmeer war. Der römische General Quintus Caecilius Metellus Balearicus hatte die Insel im Jahr 123 vor Christus erobert und an der Stelle, wo sich heute Palma befindet, eine Niederlassung gegründet. Ebenso Pollentia im Inselnorden. Dort, wo das Schiffswrack gefunden wurde, befand sich damals wiederum eine Lagune, die Seefahrern als natürlicher Hafen eine sichere Zuflucht bot.

Ein Zufall ist es also nicht, dass das Wrack ausgerechnet an jener Stelle auftauchte. Möglich, dass die Besatzung versucht hatte, angesichts eines heftigen Sturms, das Schiff dorthin zu manövrieren. Später verlandete die Lagune, die einst kilometerweit ins Inselinnere bis nach Sant Jordi gereicht haben und schiffbar gewesen sein soll. Übrig blieb ein Feuchtgebiet, das heute den Namen Ses Fontanelles trägt. Neben und hinter dem Palma Aquarium sind noch letzte Reste davon zu sehen.

Während die Ladung des Schiffes mittlerweile also geborgen ist, liegt das Wrack selbst noch immer an Ort und Stelle. Um es vor dem Verfall zu schützen, bedeckten es die Forscher wieder mit Sand. Allerdings ist die Bergung fest eingeplant. Zum einen wolle man die Überreste des Schiffes bewahren und andererseits der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das aber ist eine aufwendige und langwierige Aufgabe, wie Carlos de Juan erklärt, Archäologe und Experte für römischen Boostbau an der Universität Valencia.

Letztendlich habe man den Plan verworfen, das Wrack als Ganzes zu bergen. Bei den Arbeiten unter Wasser hatte sich nämlich herausgestellt, dass sich der Kiel vom Schiff gelöst hat. Stattdessen wird der Rumpf nun unter Wasser in kleinere Teile zerlegt und geborgen. Das Holz muss dann zunächst gründlich entsalzen werden. Das wird in Süßwassertanks im Castillo San Carlos in Palma geschehen. Verbliebene Salzkristalle im Holz könnten bei der späteren Behandlung für Probleme sorgen. Das gilt auch für die Nägel, die sich im Holz befinden. Vor der Imprägnierung müssen diese daher restlos entfernt werden.

Bis das Wrack komplett wieder hergestellt und im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert werden kann, vergehen aller Voraussicht nach noch mindestens fünf Jahre. Noch so mancher Sturm dürfte bis dahin den Meeresgrund an der Playa de Palma durcheinander wirbeln und dabei auch das eine oder historische Fundstück zutage fördern. Dass dies immer wieder vorkommt, beweist Felix Alarcón, der einstige Finder des Wracks. Der nämlich machte nur zwei Jahre später ganz in der Nähe eine weitere Entdeckung. Nach einem erneuten Sturm mit schwerem Seegang, stieß er auf einen auffälligen Gegenstand am Meeresboden. Es handelte sich um einen vermutlich jahrtausendealten Anker.

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